Vita

Michelle Schmollgruber hat einiges gemeinsam mit vielen. Manche davon sind mehr oder weniger bekannt, berühmt, berüchtigt. Immerhin wurden ihre Biografien, ob nun abgeschlossen oder nicht, als ausreichend bedeutsam für einen eigenen Wikipedia-Eintrag angesehen. Diese Biografien, von unerwähnt bleibenden Personen in einem kollaborativen Schreibprozess verfasst, macht sich Michelle zu eigen, um die ihre Stück für Stück zu erzählen. 

Michelle schreibt nicht über ihr Leben, sie wählt aus. Wählt aus einem endlos scheinenden Korpus von Texten und setzt aus diesen Versatzstücken ihr eigenes Leben schriftlich zusammen. Damit gibt die Verfasserin die völlige Kontrolle über ihre eigene (Auto-)Biografie auf, sie wurde von anderen für andere vorgeschrieben. Kein Text ohne andere Texte; keine Biografie ohne andere Biografien. „Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes“, schreibt die Literaturtheoretikerin, Psychoanalytikerin, Schriftstellerin und Philosophin Julia Kristeva im Geburtsjahr von Michelle Schmollgruber. Zufall?  

Aus den Texten greift Michelle Schmollgruber nur die Gemeinsamkeiten heraus: geboren 1967; Künstlerin; zwei Kinder; introvertierte, scheue und undurchsichtige Persönlichkeit. Die als Basis verwendeten Texte entsprechen der Zusammensetzung einer „typischen“ Lebensgeschichte: Auf die Beschreibung von Kindheit und Elternhaus folgen Ausführungen über Ausbildung, erste Erfolge, Familiengründung und so weiter. Der Punkt „Werk/Wirken“ soll anschließend „die Leistungen der Person“ (siehe Wikipedia: „Formatvorlage Biografie“). Manche Lebens- und Leistungs-Überschneidungen liegen auf der Hand. Doch was hat Michelle Schmollgruber mit einem gewissen Donald Trump gemeinsam? Die Schnittmenge ihrer Leben ist größer als man annehmen mag: gleichnamige Großeltern, Vater als Unternehmer tätig, akademisch und politisch unauffällig. Michelles Vorgehensweise zeugt dabei von einer Offenheit und Neugier für die Menschen hinter jenen „Leistungen“, die Aufsehen erregt und sie zu bedeutsamen Personen gemacht haben. 

Ein Fall von Ghostwriting? Biografieschreibung als systematisches Plagiat? Das Projekt beruht einerseits auf der Aneignung sowohl von Texten als auch von der Berühmtheit anderer. Andererseits werden individuelle Elemente der Lebensgeschichte als in gewisser Hinsicht geteilte Erfahrungen wahrgenommen. Durch den Akt des Auswählens gibt Michelle auch über sich preis, ihre Existenz, ihr Privatleben, ihre Arbeit werden offen gelegt. Je nach Auswahl der Persönlichkeiten kommen eher die einen oder die anderen Aspekte von Michelles Leben zum Vorschein. Diese Form der persönlichen Selbstbetrachtung aus der Retrospektive verwehrt sich der Einordnung, ist weder Biografie noch Autobiografie, sondern etwas dazwischen – schließlich gestaltet sich das Verhältnis von Autor*in und Protagonist*in nicht auf die für diese literarischen Formen übliche Weise. 

Das Textmosaik wird begleitet von Fotografien. Michelle legt die Fotografien der Berühmtheiten und ihre eigenen Selbstporträts übereinander und lässt sie verschmelzen: Hinter Barbra Streisands in Locken gelegten Haaren blickt Michelle hervor, Donna Summer ganz nah. No More Tears. Enough is Enough. So der Titel des 1979 von den beiden Sängerinnen im Duett gesungenen Liedes. Auf dem nächsten Bild trägt Michelle die Gesichtszüge von Donald Trump – oder ist es umgekehrt? Unverkennbar ist Michelle auch Andy Warhol, in schwarz-weiß, mit silber-weißem Haar. Die sorgfältig ausgewählten Porträtfotos entstanden nicht explizit für das transmediale Projekt, sondern wurden über viele Jahre erstellt. In einer Blechdose ruhend warten tausend Gesichter Michelles, in verschiedenen Posen, mit wechselnden Haarschnitten, Frisuren, Gesichtsausdrücken. In der Regel existiert eine solche Anzahl von Porträts nur von berühmten Personen mit Wikipedia-Eintrag. Eine weitere Gemeinsamkeit?

Der Umweg über andere Biografien, den Michelle gewählt hat, wirft neue Fragen über das eigene Leben auf, verleitet dazu, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu reflektieren und führt uns unerwartete Verbindungen vor Augen. Im Raum, den Michelle Schmollgrubers transmediale (Auto-)Biografie aufspannt, treffen Menschen aufeinander, die sich nie persönlich begegnet sind und deren Leben doch miteinander resonieren. Wo sie diese Arbeit hinführen wird, ist noch ungewiss, doch eines ist sicher – der Weg führt gleichzeitig zu ihr und zu den anderen. 

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